Zum Inhalt springen

DARK UX WRITING

Dark UX Writing bewegt Nutzer:innen von Webseiten und Apps zu Entscheidungen, die sie eigentlich nicht treffen wollen. Dabei werden Wörter manipulativ eingesetzt und so das Unterbewusstsein gesteuert. Es folgen drei Beispiele, die helfen, diese Praxis aus der Ecke der Dark Design Patterns zu erkennen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 30. August 2021 im dreipol Blog sowie in gekürzter Fassung am 7. September 2021 im Blog des Institute for Digital Business der HWZ.

Digitale Produkte wie Apps und Webseiten begleiten uns von den ersten Minuten des Tages bis zum Schlafengehen. Wir versprechen uns von ihnen Informationen, soziale Vernetzung, Musik oder eine Übersicht anfallender Aufgaben. Sie versuchen uns aber mittels Dark Patterns auch immer wieder zu überlisten und zu ungewollten Aktionen zu verleiten. Dies einerseits durch die Gestaltung und Anordnung von Elementen, andererseits auch auf der textuellen Ebene. Wie eine Manipulation durch Text aussehen kann, möchte ich in diesem Artikel genauer beleuchten.

Was ist UX Writing?

Apps und Webseiten bestehen aus einer Vielzahl verschiedener Bestandteile. Diese Komponenten sind einerseits visuell ausgestaltet, andererseits benötigen sie Text - viel Text. User Experience (UX) Writing beinhaltet das Benennen und Formulieren der einzelnen Textelemente innerhalb des Interfaces. Dazu gehören zum Beispiel Buttons, Erfolgsmeldungen und Notifikationen. Eine kurze, einprägsame Auflistung zu UX Writing findet sich bei Adobe. Gutes UX Writing fällt nicht auf, mangelhaftes bis fehlendes hingegen schon.

Wann wird UX Writing «dark»?

Textelemente leiten und unterstützen uns während der Nutzung. Dieselben Elemente können uns aber auch manipulieren. Wir führen Handlungen aus, die möglicherweise nicht unseren Absichten entsprechen - getriggert durch gezielt ausgewählte Wörter im Interface. Dark UX Writing ist die Praktik, die hinter diesem manipulativen Einsatz von Sprache steht. Andrea Drugay, Group Manager Copy bei Slack, liefert die passende Definition: «When the words in your product frustrate, shame, or manipulate people into taking actions they wouldn’t otherwise have taken».

Es gibt zahlreiche Beispiele für Dark Patterns, in denen Wörter missbräuchlich eingesetzt werden. Als Nutzer:in ist es wichtig, sie zu (er)kennen, um sich weniger beeinflussen zu lassen. Als UX Writer:in ist es gleichermassen wichtig, über diese Muster Bescheid zu wissen, um den Balanceakt zwischen Ethik und Wirtschaftlichkeit zu meistern.

Verlust-Frame

Das Paradebeispiel für den Verlust-Frame liefern Buchungsplattformen. Durch den Einsatz von Sätzen wie «Nur noch 1 Zimmer verfügbar» stellen sie ständig einen möglichen Verlust in Aussicht.

Wie erkenne ich den Verlust-Frame? Die gewählte Formulierung suggeriert, dass wir gerade im Begriff sind, eine grosse Chance zu verpassen.

Warum funktioniert der Verlust-Frame? Die Forschung aus der Sozialpsychologie und Verhaltensökonomie zeigt, dass in der menschlichen Wahrnehmung Gewinne nur halb so schwer wiegen wie Verluste (etwa in der Prospect Theory von Kahnemann & Tversky). Der Verlust-Frame drängt uns zu einer Entscheidung. Ohne den befürchteten Verlust würde unsere Wahl womöglich anders ausfallen. Dieses Dark Pattern tangiert aus ethischer Perspektive unser Recht auf Selbstbestimmung. Wir können ausserdem nicht transparent nachvollziehen und überprüfen, ob der behauptete Verlust durch reale Umstände begründet ist.

Manipulinks

Manipulinks finden wir meistens dann vor, wenn Anbieter:innen bestimmte Ziele erreichen wollen. Sprich, dass wir uns für einen Newsletter anmelden, eine App herunterladen oder ihre Berater:innen anrufen. Eine Zusammenstellung von Manipulinks findet sich hier.

Wie erkenne ich Manipulinks? Manipulinks sind Links, die uns manipulieren. Sie kommen zum Zuge, wenn wir uns anders verhalten, als es sich die App- oder Webseitenanbieter:innen wünschen.

Warum funktionieren Manipulinks? Wir möchten uns gut fühlen, das ist ein urmenschliches Bedürfnis. Das gilt auch bei der Nutzung von Webseiten und Apps. Manipulinks funktionieren, weil sie bei uns ein schlechtes Gewissen hervorrufen. Sie stellen unser Denken und Handeln infrage, somit fühlen wir uns attackiert und missverstanden. In der Folge wollen wir das Gegenteil beweisen. Also klicken wir auf den Link und stimmen womöglich etwas zu, das nicht unserer ursprünglichen Absicht entspricht. In diesem Zusammenhang wird auch von «Confirmshaming» gesprochen. Aus ethischer Sicht untergräbt dieses Dark Pattern unsere Integrität.

Nagging

Nagging kommt zum Einsatz, um uns stärker an eine App oder Webseite zu binden. Die Social-Media-Plattform Instagram erinnerte früher bei jedem Aufrufen der App daran, Push-Mitteilungen zuzulassen. Eine Option zur Deaktivierung dieser Erinnerungsmitteilung gab es nicht. Auch Google fragt immer wieder nach, sollten wir dem Teilen von Daten in Bezug auf unsere Suchanfragen nicht schon zugestimmt haben.

Wie erkenne ich Nagging? Uns Nutzer:innen werden über Pop-ups so lange Handlungsempfehlungen gemacht, bis wir sie annehmen.

Warum funktioniert Nagging? Nur genügend lang nörgeln, dann geben die Nutzer:innen nach. Unter diesem Motto steht Nagging. In der Regel erhalten wir keine Möglichkeit, eine Empfehlung abzulehnen. Entweder, weil die technische Option dazu fehlt, oder weil wir den Dienst ohne die entsprechende Handlung gar nicht (mehr) nutzen können. Von Freiheit und Fairness kann keine Rede sein. Je nachdem mit welchen Empfehlungen wir «genagged» werden, wird auch unsere Privatsphäre verletzt.

Aus rechtlicher Sicht

Gesetzlich reguliert oder gar verboten sind Dark Patterns in der Schweiz (noch) nicht. In welche Richtung es gehen könnte, zeigt Kalifornien. Der California Consumer Privacy Act beinhaltet seit März 2021 das Verbot von Dark Patterns.

Eine spannende Lektüre hierzu ist Ferdinand von Schirachs «Jeder Mensch», erschienen im März 2021. Er schlägt darin sechs neue Grundrechte für Europa vor, unter anderem mit dem Artikel 2 das Recht auf digitale Selbstbestimmung: «Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten» (S. 18). Ausforschen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass mehr Daten erhoben werden, als aus Sicht des:der Betroffenen notwendig sind. Manipuliert wird über bewusste, für die Nutzer:innen aber undurchschaubare Entscheidungen in visuellem und sprachlichem Design - womit wir wieder bei den Dark Patterns wären.

Den Balanceakt meistern

Wir bewegen uns auch bei dreipol stets zwischen dem, was Anwender:innen von Apps und Webseiten brauchen und dem, was unsere Auftraggeber:innen wirtschaftlich erreichen wollen (dass Dark Patterns durchaus zum «Erfolg» führen, wurde mittlerweile wissenschaftlich belegt). Kein leichter Balanceakt also. Wie er zu meistern ist? Meines Erachtens über Sensibilisierung und offene Kommunikation.

Beim Verfassen der Interface-Texte müssen sich alle Beteiligten der potenziellen Macht von Wörtern stets bewusst sein, Auswahl und Entscheidungen kritisch reflektieren und miteinander in Diskurs treten. Denn Nutzer:innen haben ein Anrecht darauf, dass Werte wie Freiheit, Integrität und Transparenz respektiert werden. Sie sollen selbstbestimmt entscheiden dürfen, ob sie ein Angebot annehmen oder ablehnen. Egal, was ihnen ein Pop-up dazu sagt. Eine spannende Option in diesem Zusammenhang sind ethische Design Reviews von digitalen Produkten, die intern oder mit externer Unterstützung durchgeführt werden können.

Zur allgemeinen Sensibilisierung tragen ausserdem Initiativen wie das deutsche Dark Pattern Detection Project bei. Initiiert von der Universität Heidelberg und dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer, klärt das Projekt über gängige Dark Patterns auf und bietet Besucher:innen die Möglichkeit, Dark Patterns direkt zu melden.

Weiterführende Literatur, Talks und Links

Für die Vertiefung der Thematik bieten sich folgende Publikationen an: