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EINE NACHT IN ROBIEI

Der Schweizer Bergsommer macht Freude. Charmante Unterkünfte zwischen Alpstein und Tessin tragen ihres dazu bei. So auch die Albergo Robièi im wilden Val Bavona.

Bereits die Anreise durch das Val Bavona ist spektakulär – ab Zürich sollte gut und gerne ein ganzer Tag dafür eingeplant werden. Nach dem dritten Mal Umsteigen, binde ich unserem öffentlichen Verkehr ein Kränzchen. Es ist kaum zu glauben, in welche einsamen Regionen er uns zuverlässig bringt. Und wie nahe an die unberührte Natur. Erst die türkis farbige Maggia, dann sind es die dichten Wälder, die zum Greifen nah am Postauto vorbeiziehen. Der Perspektivenwechsel folgt in San Carlo, dem hintersten Weiler des Tals: Die in den 1960er Jahren konstruierte Funivia gehört mit ihren vier Kilometern zu den längsten Luftseilbahnen Europas und bringt mich nach Robièi auf knapp 2’000 Metern über Meer. Die ganze Gondelfahrt über kann ich nicht anders, als wie ein Kleinkind am Fenster zu kleben. Karge, steile Felswände rechts und links von mir, immer kleiner werdende Linden, Fichten und Kastanienbäume unter mir.

Leicht entrückt

Oben angekommen, wähne ich mich in einem Film oder in einer anderen Zeit. Oder beides. Das familiengeführte Hotel Albergo Robièi diente früher Technikern als Unterkunft. Heute wirkt das Rondell surreal in der kargen Bergwelt und dem imposanten Staudamm. Bilder an den Wänden erinnern an vergangene Tage, ebenso das Telefon mit Wählscheibe und die schweren Messingschlüssel für die 30 Zimmer, die sich kreisförmig um die Treppe anordnen.

«Familien auf der Suche nach Ruhe, Wanderer und Leute, die den Kontakt mit der Natur lieben», umschreibt das Hotel seine Kundschaft und könnte die Worte nicht passender wählen. Dank Tessiner Gastfreundschaft fühlen sich Wandervögel und Ruhesuchende von der ersten Sekunde an gleichermassen willkommen. Dass das Abendessen von allen Gästen zur selben Zeit gemeinsam im rustikalen Speiseraum eingenommen wird, untermauert die familiäre Atmosphäre. Bevor sich die Sonne verabschiedet, lasse ich die Umgebung noch einmal auf mich wirken. Zu meiner rechten die massiven Zementstrukturen und Wassermassen des Staudamms; vor und unter mir die wilde Schönheit des Bavonatals, das nur im Sommer bewohnt ist und bis heute ohne elektrischen Strom auskommt; zu meiner rechten einer der bedeutendsten Gletscher des Tessins: der Basodino Gletscher, der bis in eine Höhe von 3’120 Metern reicht. Experten befürchten, dass in 20 Jahren nur noch auf den Kämmen Eis liegen wird. Demut stellt sich ein – und grosse Dankbarkeit, Natur und Geschichte in dieser einzigartigen Kombination erleben zu dürfen.

Anreise

Mit dem Zug nach Locarno, danach mit dem Bus bis Bignasco Posta und weiter mit dem Postauto durch das Val Bavona bis nach San Carlo. Die Seilbahn fährt stündlich von ca. Mitte Juni bis Anfang Oktober nach Robièi.