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ZU GAST AUF DEM SCHÄFLER

Gut Ding will Weile haben – so auch meine erste Wanderung im Alpstein. Über 30 Jahre hat es gedauert, bis meine Wanderschuhe erstmals Appenzeller Boden berühren. Den Besuch kröne ich mit einer Übernachtung im Berggasthaus Schäfler.

Freitagnachmittag, 16 Uhr, die ersten Höhenmeter von Wasserauen auf die Ebenalp habe ich bequem mit der Gondelbahn zurückgelegt. So spät wie noch nie in meinem Leben beginne ich meine Wanderung. Sie führt mich über das Wildkirchli zunächst zum Gasthaus Äscher. Was abertausende Influencer schon vor mir in die Welt hinaus gepostet haben, sehe ich nun endlich mit eigenen Augen. Das in den Fels gebaute Gasthaus wirkt in Realität kleiner, fast zerbrechlich. Im Kontrast dazu steht die Masse Mensch, die sich auf der Terrasse verköstigt und sich für Selfies in die beste Position bringt. Auch ich drücke auf den Auslöser.

Durch den Nebel dem Ziel entgegen

Mein eigentliches Ziel ist der Schäfler. Von der 1’925 Meter hohen Erhebung inmitten des Alpsteins bekomme ich erst einmal nicht viel mit: Es herrscht dichter Nebel. Die Touristenmasse hat sich verabschiedet und ich bewege mich fast allein entlang der steilen Felswände. Nebelschwaden wirbeln um mich herum. Ich wähne mich dieses Mal nicht in einem Wes Anderson Film, sondern eher im «Sennentuntschi».

Der Weg steigt an, mein Puls und meine Atemfrequenz tun es ihm gleich. Von der so oft proklamierten einmaligen Aussicht ist leider weiterhin nichts zu sehen. So erschrecke ich beinahe, als plötzlich das Berggasthaus Schäfler vor mir auftaucht. Erst einmal rein in die gute Stube, eine heisse Schoggi trinken und das mir zugewiesene Bett im Massenlager beziehen. Eine Katzenwäsche später sitze ich, die dampfende Tasse Pfefferminztee umklammert, auf der Terrasse. Wie von Geisterhand verzieht sich der Nebel langsam und die Sonne erkämpft sich die letzten Stunden des Tages zurück.

Ich schlendere auf den Hügel gleich hinter dem Berggasthaus und werde endlich meiner Umgebung gewahr: Karg, schroff, steil und gleichzeitig wunderschön erheben sich die Gipfel des Alpsteins um mich herum. Eingehüllt in ein Abendrot, wie ich es selten erlebt habe. Wie viele Rot- und Gelbtöne sind das gerade? Es fühlt sich an, als ob ich Teil eines romantischen Gemäldes wäre. Es ist ein Leichtes, im Alpstein angesichts der Naturgewalt die Zeit zu vergessen. Auf meinen knurrenden Magen ist jedoch Verlass. Er lotst mich zurück in den warmen Aufenthaltsraum, wo eine währschafte Portion Rösti mit Ei auf mich wartet. Nach dem süssen kulinarischen Höhepunkt, dem Appenzeller Quarkfladen, fallen mir im Sitzen fast die Augen zu.

Früh aus den Federn lohnt sich

Es folgt ein tiefer Schlaf – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als sich zwei Zimmergenossen für eine spontane Schnarch-Jamsession zusammenschliessen. Einmal mehr staune ich, nun ob des Stakkatos röchelnder, rasselnder und pfeifender Atemlaute. Es ist 05.30 Uhr. Perfektes Timing, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Aus der Not eine Tugend machend, packe ich mich also in mehrere Schichten und gehe nach draussen. Eine ganze Weile stehe ich gebannt da und verfolge, wie ein Gipfel nach dem anderen am Horizont erscheint und in goldenes Licht taucht. Die Szenerie ist nicht minder beeindruckend als am Vorabend. Ich bin überzeugt: Mein erster Besuch im Alpstein wird nicht mein letzter gewesen sein. Das nächste Mal allerdings wieder mit Ohropax.

Anreise

Von Wasserauen mit der Gondel auf die Ebenalp. Dann entweder direkt oder über einen Abstecher in die Wildkirchli Höhle und Kapelle auf den Schäfler.